Antifaschismus und die radikale Linke in Ostdeutschland

Zusammenfassung

  • Antifaschismus ist das zentrale Themen- und Aktionsfeld der radikalen Linken in Ostdeutschland, der auch am Beginn der Organisationsgeschichte der radikalen Linken in der späten DDR steht.
  • Antifaschismus wird in der radikalen Linken in Ostdeutschland verstanden als (Not-) Wehr gegen einen rechten Normalzustand, der sich in der Gesellschaft zeige, den auf allen Ebenen zu bekämpfen sich die radikale Linke zum Ziel gesetzt hat.
  • Antirassismus hängt hiermit eng zusammen und wird durch Themenfelder wie Antikapitalismus, Anti-Repression ergänzt, letztere besitzen aber eine geringere politisch-kulturelle Durchdringungstiefe.
  • Der symbolische Kampf um Häuser ist einem Kampf gegen real-existierende Verdrängung aus Schutz- und Freiräumen gewichen.

Begrifflichkeiten

Es gibt jenseits normativ aufgeladener Begriffsstreitigkeiten kaum allgemeingültige Definitionen für linke Radikalität, linksradikal geprägten Antifaschismus oder linke Militanz.[1] So kann linke Militanz und linker Radikalismus verstanden werden als kämpferische, aber nicht automatisch gewalttätige, tatbetonende politische Strategie mit radikalen Absichten und Zielen, die im öffentlichen Raum auf Grundsätzliches zielt und mit entschlossener Haltung vertreten wird. Auf der inhaltlichen Ebene werden eine antizentralistische Bürokratie- bzw. Institutionenkritik sowie die Rezeption von Ideologemen kommunistischer und anarchistischer Theorietraditionen hervorgehoben.[2] Gleichwohl besitzt diese Allgemeindefinition kein ausreichendes Sensorium für das spezifische an ostdeutschem, linksradikalen Antifaschismus. Denn erst der politisch-kulturelle Blick auf den prägenden ostdeutschen Erfahrungsraum, als Explanandum für linksradikalen Antifaschismus in Ostdeutschland, erklärt das Phänomen hinreichend.[3] Die Kritik ernst nehmend, dass es „an qualitativen, hermeneutisch sensiblen und historisch vergleichenden Analysen lokaler Protestkulturen [fehlt], die ihre Fragestellungen und Bewertungsmaßstäbe der fortschreitenden Analyse entnehmen“,[4] wird die für die heutige Zeit noch immer manifeste Eigengeschichte weiterhin im Zentrum der Analyse stehen müssen. Denn bis heute gibt es Unterschiede, an der Oberfläche, aber eben auch in den Tiefenschichten radikal linker Einstellungen, die auch eine Generation nach der Revolution von 1989 weiterwirken.[5]

Genese      

An der Oberfläche ist dies etwa der Befund, dass die Flaggendichte bei Demonstrationen der radikalen Linken geringer sei.[6] Was banal klingen mag, verweist aber bereits auf ein entscheidendes Spezifikum ostdeutschen Antifaschismus – nämlich dessen aus den letzten Jahren der DDR stammende Eigengeschichte. Staatsunabhängiger Antifaschismus in DDR, jenem „besseren“ Deutschland, dessen Legitimität auf dem antifaschistischen Gründungsmythos basierte[7] und der Faschismus, so die Staatsführung wenige Monate vor ihrem eigenen Untergang, ‚mit Stumpf und Stiel‘ ausgerottet gewesen sei?[8] Dass dem nicht so war, wurde im Jahr 1987 offenkundig. Nach dem Überfall von ost- und westdeutschen Neonazis auf ein Punkkonzert in der Berliner Zionskirche konnte selbst die SED-Führung nicht mehr leugnen, dass es in der DDR junge gewaltbereite Neonazis gab;[9] Neonazis, die Punks, Grufties und Vertragsarbeiter:innen angriffen. So entstanden, bereits in Reaktion auf sichtbare rechte Manifestationen, die u.a. in DDR-Fußballstadien der achtziger Jahre ihren Ausgang nahmen, erste staatsunabhängige Antifa-Gruppen in der DDR. Diese sahen ihre Aufgabe vor allem darin, aufzuklären und – eine gewisse Parallele zu bundesrepublikanischen Entwicklungen – die ersten leerstehende Häuser zu besetzen.

Militant waren diese Antifa-Gruppen hingegen in der Regel nicht: „Wir waren die totalen Hippies, Gewalt war nicht unser Ansatz.“, erinnert sich einer der frühen Aktivisten, Stephan Martin. Die ostdeutsche Eigengeschichte scheint demnach geprägt von einer ursprünglich „aufgezwungenen Selbstverteidigung“, in einem Staat mit einem pulverisierten Antifaschismus-Mythos, die allmählich zum Kampf um Gegenmacht wurde. „Militant“, so Benjamin Paul-Sievert und Christin Jänicke, wurde das „Gewaltverständnis als Reaktion auf die Militanz der Neonazis“, während die „theoretisch-politische Programmatik dahinter“ weitgehend „fragmentiert“ blieb. Auch und schließlich der Kampf darum, wem „die Stadt“ gehöre, ebenso übertragbar auf „das Land“, ist eine der wesentlichen Antriebspunkte linker Militanz im Osten bis heute.[10]

Ausprägungen

Es ist dies, neben der paradoxen Entstehungsgeschichte von Antifaschist:innen im antifaschistischen Staat, das zweite Spezifikum ostdeutschen Antifaschismus, das sich bis in die Debatten der heutigen Zeit verlängern lässt: die reale und dauerhafte Bedrohung durch rohe rechte Gewalt. Eine die Selbstwahrnehmung der radikalen Linken im Osten strukturierende Erinnerung, die sich wie ein roter Faden auch durch die Geschichte eines der Zentren linker Radikalität in Ostdeutschland zieht, stellt das Conne Island in Leipzig Connewitz dar. Es ist die Erinnerung, „dass der anti-faschistische Grundkonsens einen enormen Zusammenhalt schaffte, der weit über die Gründungsgeneration des Conne Islands hinaus reichte.“[11] Statt politischer Selbstverwirklichung und gesellschaftspolitischer Problematisierung des Neonazismus im Ostdeutschland der neunziger Jahre wurde militante Auseinandersetzung zum Regelfall, die ihre Rechtfertigung und ihre Legitimität aus dem Vorhandensein von neonazistischen Strukturen und Denkmustern suchte. Das Gefühl, militanten Selbstschutz vor politische Arbeit stellen zu müssen, ist schließlich ein durchgängiges und bis heute erinnertes Motiv in Ostdeutschland.[12] Zum einen durch die Erfahrung von konkreter körperlicher Gefahr und zum anderen durch die so wahrgenommene Unfähigkeit bzw. den Unwillen, diesem seitens der Sicherheitsbehörden und Politik ausreichend und nachhaltig etwas entgegenzusetzen, findet sich in dieser dominierenden Erfahrung der Einstieg in den organisierten Antifaschismus und zugleich so etwas wie ein Kernspezifikum ostdeutscher linker Radikalität.

Es ist diese Spezifik, die seit jeher nicht nur eigenes Handeln legitimiert, sondern auch Differenz markiert. Bis heute währt der Vorwurf ostdeutscher Antifa-Kreise an Teile der West-Linken, diese spezifisch ostdeutsche Erfahrung nicht ernst genug zu nehmen bzw. Organisierungsdebatten über konkrete antifaschistische Aktion zu stellen.[13] Verstärkung fand diese Differenz auch in den neunziger Jahren, als zum einen die radikale Linke der ehemaligen DDR sich gegen diese und den erlebten Sozialismus/Kommunismus positionierte, und zum anderen im massiven Hervortreten der rassistischen und nazistischen Bewegungen der untergegangenen DDR und dem daraus folgenden antifaschistischen Selbstschutz. Anders gesagt, „das ganze Gerede vom antiimperialistischen Kampf oder dem revolutionären Antifaschismus ging an den ostdeutschen Lebensrealitäten bis in die späten Neunziger komplett vorbei.“ [14]

In den vergangenen Jahren sind diese Differenzen stärker in den Hintergrund gerückt, prägen aber weiterhin und im Angesicht von Pegida und AfD-Wahlerfolgen im Osten wieder das Bild und vermischen sich mit lokalen, historischen und generellen Entwicklungen in der radikalen Linken, wie das Beispiel Leipzig zeigt: Baseballschlägerjahre und rechte Hegemonie, der Aufstieg der AfD, Pegida und Legida, unzählige rechte Terrorgruppen, ein organisierter Überfall auf Connewitz, Querdenker:innen-Demos und ein beispielloser Gentrifizierungsschub – alles im symbolisch aufgeladen, politisch hart umkämpften und durch regelmäßige Konfrontation geprägten Leipziger Stadtteil Connewitz; einem Politikum, das überdies an große bundesrepublikanische Konflikte erinnert und anknüpft. Ob an den Häuserkampf im Frankfurter Westend, an die Konflikte um die Hamburger Hafenstraße oder die vielen Häuserkämpfe in Berlin West und Ost,[15] es ist die Mischung aus Eigengeschichte, lokaler politischer Kultur und überwölbender Konflikt, die linker Radikalität ihr eigenes Gepräge verleiht, dass sich bei aller Durchmischung insbesondere in Leipzig bis heute zeigt: „Auch wenn das Vorbild der westdeutschen Autonomen in Habitus, Kleidungs- und Lebensstil, Militanz sowie Parolen schon allein durch Zuzüge und persönliche Kontakte bald hegemonial in der Leipziger Szene wurde, lebten darunter spezifisch »ostdeutsche« Erfahrungen fort, die gegen den heute bruchlos, ja überzeitlich halluzinierten Kampf gegen System, Staat und Kapital sprechen.“[16]

Fazit

Kurzum, wenn wir 32 Jahre nach der deutschen Einheit über Antifaschismus und linke Militanz in Ostdeutschland reden, ob in sog. „Hotspots“, in der ostdeutschen Provinz oder in Städten mit einer deutlich pazifizierten Konfliktstruktur, so bleibt die lang nachhallende ostdeutsche Eigengeschichte bestehen, die sich habituell immer stärker ver- und durchmischt und mit nicht minder historischen Konflikten wie dem Häuserkampf neu auflädt. Beides wiederum trifft auf einen bisweilen vollkommen ahistorischen, gewaltaffinen, Adoleszenz begleitenden und nicht selten im Modus „maskulinen Heroismus“ vor- und ausgetragenen Aktionismus,[17] der häufig unvermittelt neben dem Beschriebenen steht, sich aber auch überlappen kann. Das sollte bei der Auseinandersetzung mit linker Militanz im Osten immer mitgedacht werden.

Michael Lühmann und André Kern


[1] Philipp Scharf u. Julian Schenke, Ein Diskurs sucht seinen Gegenstand. Über hartnäckige Begriffsroutinen und empirische Defizite im Themenfeld des Linksradikalismus, in: Demokratie-Dialog, H. 8/2021, S. 16–26.

[2] Vgl. Alexander Deycke u.a., Orientierungen im Feld der radikalen Linken (Einleitung), in: ders. u.a. (Hg.), Von der KPD zu den Post-Autonomen. Orientierungen im Feld der radikalen Linken, Göttingen 2021, S. 9-27, hier S. 20f.

[3] Das Plädoyer für lange ostdeutsche Erfahrungsräume bei Ilko-Sascha Kowalczuk: Die Übernahme. Wie Ostdeutschland Teil der Bundesrepublik wurde, Bonn 2020,

S. 85ff.; Michael Lühmann, Identitäten und Anerkennungen im Vereinigungsprozess, in: Judith Enders u.a. (Hg.), Deutschland ist eins: vieles. Bilanz und Perspektiven von Vereinigung und Transformation Identitäten und Anerkennungen im Vereinigungsprozess, Frankfurt 2021, S. 253-360.

[4] Scharf u. Schenke, Ein Diskurs sucht seinen Gegenstand, S. 26.

[5] Vgl. Michael Lühmann, Antifaschismus in Ostdeutschland. Eine (noch immer) eigene Geschichte, in: Alexander Deycke u.a. (Hg.), Von der KPD zu den Post-Autonomen. Orientierungen im Feld der radikalen Linken, Göttingen 2020, S. 361-382.

[6] Vgl. David Schweiger, Vorwärts und nicht vergessen. Eine kleine Geschichte und Typologie der ostdeutschen Linken anhand der Auseinandersetzungen mit der Leipziger Gruppe the future is unwritten im Bündnis …umsGanze!, in: Phase 2, Zeitschrift gegen die Realität, Ausg. 48, Frühjahr 2014, URL: https://phase-zwei.org/hefte/artikel/vorwaerts-und-nicht-vergessen-466/?druck=1 [eingesehen am 21.03.2022].

[7] Vgl. Jens Gieseke, Antifaschistischer Staat und postfaschistische Gesellschaft. Die DDR, das MfS und die NS-Täter, in: Historical Social Research, Jg. 35 (2010) H. 3, S. 79-94, Zitat S. 80.

[8] DDR-Auslandspresseagentur 1989, zit. nach Hanna Haag u.a. (Hg.), Volkseigenes Erinnern. Die DDR im sozialen Gedächtnis, Wiesbaden 2017, S. 69.

[9] Eine ausführliche Darstellung des gesamten, gewaltvollen Tages liefert und die Rolle des MfS beleuchtet u.a. Dirk Moldt, „Keine Konfrontation!“ Die Rolle des MfS im Zusammenhang mit dem Überfall von Skinheads auf ein Konzert in der Berliner Zionskirche am 17. Oktober 1987, in: Horch und Guck, Bd. 40/2002, S. 14-25

[10] Benjamin Paul-Siewert u. Christin Jähnicke, Von der aufgezwungenen Selbstverteidigung zur Gegenmacht. Subjektive Militanzverständnisse in Zeiten des Umbruchs, in: dies. (Hg.): 30 Jahre Antifa in Ostdeutschland. Perspektiven auf eine eigenständige Bewegung, Münster 2017, S. 69-114, hier S. 113f.

[11] Conne Island (Hg.), Auf dem Klo habe ich noch nie einen Schwan gesehen. Erinnerungen aus 30 Jahren Conne Island, Leipzig 2021, S. 7.

[12] Eindrücklich beschrieben sind solche Überfälle etwa bei Steffen (Jahrg. 1971), Überfall, in: Connie Mareth u. Ray Schneider (Hg.), Haare auf Krawall. Jugendsubkultur in Leipzig 1980-1991, Leipzig 2010, S. 258-261, Vgl. auch die aktualisierte Neuauflage, Fuchshain 2020. Aktualisiert für Connewitz wurde dieses Gefühl durch den „Überfall auf Connewitz“ im Januar 2016, vgl. o.V. »Game Over«. #le1101: Die Geschichte des Überfalls auf Connewitz, in: kreuzer online, 28.10.2021, URL: https://kreuzer-leipzig.de/2018/08/15/connewitz-ueberfall-neonazis-nachrichten, Das war nur Links-Rechts. Interview mit Wirthi, in: Heldenstadt anders, 07.01.20, URL: http://heldenstadt-anders.de/das-war-nur-links-rechts-interview-mit-wirthi-07-01-20/ [alle eingesehen am 21.03.2022].

[13] Vgl. O.V., I don’t like Mondays… Erfahrungsbericht aus aktuellem Anlass, in: Antifa in Leipzig, 12.12.2014, URL: https://www.inventati.org/leipzig/?p=2752 [eingesehen am 21.03.2022]. Die Debatten um (westdeutsche) Organisierung vs. (notwendiger) antifaschistischer (ostdeutscher) Gegenwehr kennt ausreichend Vorläuferdebatten.

[14] Schweiger, Vorwärts und nicht vergessen.

[15] Sven Reichardt, Authentizität und Gemeinschaft. Linksalternatives Leben in den siebziger und achtziger Jahren, Frankfurt a.M. 2014, S. 351-578; Armin Kuhn u. Andrej Holm, Häuserkampf und Stadterneuerung, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Jg. 55 (2010) H. 3, Seite 107-115.

[16] Trebor, The Great Connewitz Swindle, in: Roter Salon, 17.12.2020, URL: https://roter-salon.conne-island.de/the-great-connewitz-swindle/#26unten [eingesehen am 21.03.2022].

[17] Jeja Klein u. Bilke Schnibbe, Linke Männerfantasien, in: analyse & kritik. Zeitung für linke Debatte & Praxis, 17.03.2020, URL: https://www.akweb.de/bewegung/linke-maennerfantasien/; Es gibt eine rege feministische Debatte über Mackertum in der radikalen Linken, aber auch über die Frage möglicher Aneignung jenseits der Reproduktion männlich gelesener Aktionsformen: Noah*, Make Feminism a Threat – Mehr Militanz für den Feminismus!, in: Supernova, 04.03.2020, URL: https://www.supernovamag.de/feminismus-und-militanz/; Kritische Intervention Wiesbaden, Mackertum in der radikalen Linken, 02.04.2020, URL: http://ki-wi.website/blog/2020/04/02/mackertum-in-der-radikalen-linken/ [alle eingesehen am 21.03.2022].